Nachkriegsmoderne in Würzburg
Nachkriegsmoderne in Würzburg

Nachkriegsmoderne in Würzburg

Die sogenannte „Nachkriegsmoderne“ ist ein Architekturstil, den man in Würzburg förmlich fast an jeder Ecke findet. Geschuldet ist dies der starken Zerstörung unserer Stadt am 16. März 1945 und dem Wiederaufbau in den Folgejahren. Der Stil entstand direkt nach dem Zweiten Weltkrieg und mit der Kapitulation Deutschlands. Führende Architekten des Landes wollten sich damals bewusst von der einschüchternden und monumentalen Bauweise der Nationalsozialisten unterscheiden.

Der Stil war prägend für das Nachkriegsdeutschland in Ost und West und wurde ab Ende den 1940er Jahre bis in Ende der 1970er Jahre angewendet. Dabei wird der Stil in der Literatur grundsätzlich in drei Phasen aufgeteilt.

  1. „Erste Nachkriegsmoderne“ (1945 – 1957)
  2. Übergangsphase
  3. „Zweite Nachkriegsmoderne“ (1963 bis Ende der 1970er Jahre)

Während die „Erste Phase“ von der sogenannten „Rasterfassade“ geprägt war, wurde in der „Zweiten Phase“ die „Vorhangfassade“ stilprägend. In Würzburg ist mir allerdings kein Gebäude damit bekannt. Wahrscheinlich waren zum Beginn dieser Phase die meisten Häuser bereits fertiggestellt. Denn die erste Nachkriegsmoderne endete 1957 mit der „Interbau“ (einer Bauausstellung) in West-Berlin. Namhafte Architekten aus aller Welt wurden damals eingeladen, neue Wohnformen für das vom Krieg zerstörte Deutschland zu finden. So entstand das „Hansa-Viertel“ und war mit seinen Bauten stilprägend für die „Zweite Nachkriegsmoderne“.

Merkmale der Nachkriegsmoderne

Nachkriegsmoderne in Würzburg

Ein grundsätzliches Merkmal nahezu aller Gebäude dieser Zeit ist ihre äußere Schlichtheit. Auffallend sind auch die häufig strenge Symmetrie, geometrische Formen und große Fensterflächen, um helle Räume im Inneren zu erzeugen.

Verzierungen und Spielereien sind zwar mitunter vorhanden, aber in aller Regel zeitgenössisch – also der Form- und Designsprache der jeweiligen Zeit entsprechend.

Die Formensprache der 1950er Jahre

Die 1950er Jahre waren eine Zeit großer Veränderungen in allen Bereichen des Lebens. Der Krieg war vorbei und man wollte nicht nur die alten Zeiten hinter sich lassen, sondern war vor allem in Fragen des Designs sehr offen für Fortschritt und neue Materialien wie Glas und Beton. So begann man die Welt auf eine ganz neue Art zu gestalten.

Zuvor ging es eher um Funktionalität und den Willen zu repräsentieren – Eigenschaften, die für den „Funktionalismus“ und „Monumentalismus“ der NS-Zeit sehr typisch waren. In den 50er Jahren wollte die Designer auch erreichen, dass Dinge des Alltags einfach schön anzusehen sind.

Nachkriegsmoderne in Würzburg

Man hat sich von Pflanzen (Stichwort: „Tulpenlampe“), Tieren und dem menschlichen Körper (Stichwort: „Nierentisch) inspirieren lassen. So kamen runde Formen bei Möbeln und Haushaltsgeräten stark in Mode. Autos hatten damals oft einen vollkommen futuristischen Look, der an Raketen erinnert, mit ebenfalls stark abgerundeten Formen.

Denn der Weltraum und die Raumfahrt waren in den 50er Jahren als Thema allgegenwärtig. Die Eroberung des Alls war noch ganz neu, sehr aufregend (Stichwort: „Sputnickschock“) und hat die Menschen sehr fasziniert. Die damit in Verbindung stehenden Raketen hatten diese typisch spitzen Formen, die für die Designer dieser Zeit offensichtlich unwiderstehlich waren, sodass man diese Formen gerne überall sehen wollte. Der futuristische „Raketen-Look“ hat sich noch bis weit in die 1960er Jahren im alltäglichen Gebrauchs- und vor allem im Automobildesign gezeigt.

Typisches Design der 50er Jahre

Die folgenden Bilder (alle aus Wikipedia) sind gute Beispiele für das Industrie- und Automobildesign sowie von Gebrauchsgegenständen dieser Zeit. Die Lokomotive der Baureihe V200 ist genau wie die „DS“ von Citroën eine echte Design-Ikone. Gerade das Design des PKW ist so außergewöhnlich, futuristisch und gleichzeitig zeitlos, dass es auch heute noch ein echter „Eye-Catcher“ ist und nichts von seiner Schönheit verloren hat. Die Möbel aus dieser Zeit galten lange Zeit als „alt“ und „spießig“. In Zeiten des allgemeinen „Retro-Trends“ sind sie inzwischen durchaus wieder gefragt.

Gebäude mit „Knick und Schwung“

Die Aufbruchstimmung der 1950er Jahre war auch deutlich in der Architektur zu sehen. Zwar haben die Gebäude der Nachkriegsmoderne in der Regel die Eigenschaft, funktional und symmetrisch zu sein, dennoch gab es auch hier Ausbrüche, die ein neues Denken und den Willen zur Veränderung deutlich machten. Beispiele dafür sind „keck“ hervorstehende Balkone – zwar im rechten Winkel, aber dennoch ausbrechend aus dem Rahmen der Rasterfassade. Gebogene Häuserfassaden, Balkonverkleidungen in gestanzter Wellblech-Optik, bunte Fließen und neue Formen. Auch durch Glasbausteine aufgefüllte Lichteinlässe oder manchmal einfach geometrische Formen ohne vordergründigen Sinn gehörten dazu. Es gibt sicherlich noch mehr Beispiele, die stilprägend waren.

Modernisierte Nachkriegsmoderne

Die zu Anfang dieses Architekturstils entstandenen Gebäude sind mittlerweile rund 70 Jahre alt. Dies bedingt, dass manches Gemäuer aus dieser Zeit inzwischen mehr oder weniger dringend sanierungsbedürftig ist. Manch eine Kommune steht vielleicht auch vor der Frage „Abriss oder Erhalt“?

Das frisch sanierte Mainfrankentheater Würzburg im Dezember 2024. Gut oder schlecht gelungen?
Das frisch sanierte Mainfrankentheater Würzburg im Dezember 2024. Gut oder schlecht gelungen?

Da die Bauten aus dieser Zeit aber häufig einem genauen Zweck zugeordnet waren und diese Funktion bis heute erfüllen, ist ein Abriss nicht so einfach zu machen. Einige Gebäude stehen möglicherweise aber auch schon unter Denkmalschutz. Wenn möglich, wird saniert. Dies gelingt manchmal sehr gut, zumal wenn dabei versucht wird, den eigentlichen Charakter der Architektur zu erhalten. In anderen Fällen wird es auch durchaus schwierig.

Nachkriegsmoderne in Würzburg

Beim Mainfranken-Theater ist die Neugestaltung für meinen persönlichen Geschmack vielleicht nicht direkt misslungen, aber sie ist für mich auf alle Fälle fragwürdig! Denn während sich das Originalgebäude aus dem Jahr 1966 von den Proportionen her eindeutig an sein Umfeld angepasst hatte und im wahrsten Sinne des Wortes zurücknahm (siehe Bild), ist das neue Gebäude auffällig und klotzig. Es harmoniert nicht mehr mit den anderen Gebäuden des Platzes.

Ein Beispiel für eine perfekt gelungene Sanierung ist hingegen das alte Mozart-Gymnasium! Entstanden ist der Bau zwischen 1955 und 1957 als reiner Schul-Zweckbau auf dem Ruinengrundstück der ehemaligen Maxschule. Der Entwurf stammt vom damaligen Stadtbaurat und Architekten Rudolf Schlick, der in Würzburg einige Gebäude dieser Zeit entworfen hat. Bei einem Bürgerentscheid wurden die Würzburger im Jahr 2015 gefragt, ob sie für einen Abriss zu Gunsten eines neuen Einkaufszentrums stimmen wollten, oder für den Erhalt und die Totalsanierung des schwer in die Jahre gekommenen Schulhauses. 2024 waren schließlich die Sanierungsarbeiten nach über drei Jahren abgeschlossen und das jetzige „Mozart-Areal“ glänzt wieder wie am ersten Tage.

Sehr aufwändig war auch die Sanierung der Polizeiinspektion Würzburg-Stadt in der Augustinerstraße. Der Büro- und Zweckbau wurde zwischen 1956 und 1958, wie auch das oben gezeigte Mozart-Gymnasium, von Rudolf Schlick entworfen. Ab Ende 2012 wurde eine Generalsanierung für rund 18,7 Millionen Euro durchgeführt und das Gebäude bekam einen Erweiterungsbau. Der hervorstehende Gebäudeteil auf der linken Seite wird bei den Würzburgern gerne als „Das Aquarium“ bezeichnet. Dieses Gebäude ist ein hervorragendes Beispiel für die zu Anfang erwähnte „Rasterfassade“ aus der ersten Phase der Nachkriegsmoderne.

Nachkriegsmoderne in Würzburg

Weitere Beispiele für die sanierte Nachkriegsmoderne findet man mittlerweile an einigen Stellen der Stadt.

„Zierrat“ im Stil der 1950er und 60er Jahre

Nachkriegsmoderne in Würzburg

Wie Eingangs beschrieben wollte man in der Nachkriegszeit in der Architektur und im Design erreichen, dass Dinge nicht nur rein funktional, sondern auch für das Auge mitunter hübsch anzusehen sind. Man orientierte sich an Motiven und Formen der Natur, oder eben ganz futuristisch am Thema Weltraum und Raumfahrt.

Vielleicht sind Sie Ihnen bisher nicht aufgefallen, aber ich möchte fast wetten, dasss alle die das hier lesen, sicherlich die dreieckig abgerundeten und geschwungenen Türknaufe, Treppengeländer und die aufwändigen Verglasungen kennen, die sich an so vielen Gebäuden der Stadt befinden. Sie alle sind mehr als typisch für die Formen- und Designsprache der 1950er bis 60er Jahre und in Würzburg noch relativ häufig zu sehen. Sind Sie Ihnen bisher aufgefallen? Mir ehrlich gesagt erst, als ich mich mit dem Thema beschäftigt habe. Hier ein paar Beispiele.

Würzburg Hauptbahnhof: Einst Perfekte Nachkriegsmoderne

Der Würzburger Hauptbahnhof als komplettes Ensemble war ohne Frage ein Beispiel für die perfekte Nachkriegsmoderne. Die komplett streng symmetrische Anlage mit den Bahnhofsbuden, großen Glasflächen am Hauptgebäude, geschwungenen und breiten Treppenaufgängen im Inneren und den abgesetzten Nebengebäuden, war ein Entwurf von Architekt und Regierungsbaumeister Hans Kern.

Der Würzburger Hauptbahnhof im Jahr 1959, fünf Jahre nach seiner Fertigstellung.
Der Würzburger Hauptbahnhof im Jahr 1959, fünf Jahre nach seiner Fertigstellung.

Nach seinem Architekturstudium war er als Bundesbahnoberrat für die Gebäudeplanung bzw. den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg im Bereich der Bundesbahndirektion Nürnberg zuständig. Die Bahnhöfe in Aschaffenburg und Schweinfurt gehen auch auf ihn zurück.

Das Chaos durch herum stehende Fahrräder wurde zumindest am Bahnhofsvorplatz komplett beseitigt und sorgt somit für einen freien "luftigeren" Blick auf das Gebäude.
Nach der Sanierung

Eine Sanierung des Gebäudes war mit den Jahren unausweichlich geworden. Ab 2004 wurde geplant, 2010 begannen die Umbaumaßnahmen. Zuerst wurde energetisch saniert und dann die Fassade neu gestaltet. Das für die Nachkriegsmoderne typischen Pultdach, das mit dünnen Pfeilern die Eingangsüberdachung darstellte, wurde entfernt. Im Inneren wurden die Treppenaufgänge rechts und links den Eingangs zurückgebaut und die Zugänge zu den Gleisen wurden versetzt und deutlich verbreitert.

Heute haben wir in Würzburg einen modernen Bahnhof mit viel Platz für Geschäfte und Aufzügen zu den Gleisen. Auf die eigentliche Architektur wurde bei der Sanierung so gut wie keine Rücksicht genommen. Einerseits schade, andererseits verständlich. In verschiedenen Artikeln hier auf der Seite widme ich mich der Geschichte und den Umbaumaßnahmen am Würzburger Hauptbahnhof.

Schützenswert oder überflüssig?

Ob die Architektur und ihre Designelemente in allen Fällen wirklich schützenswert sind, ist sicherlich fraglich. Dennoch denke ich ganz persönlich, dass wir in gewisser Weise aufpassen müssen, das nicht alles „wegmodernisiert“ wird. Denn auch wenn die Ansprüche und das Design der Nachkiregsmoderne heute etwas „alt“ und „angestaubt“ wirken mögen, sind sie trotzdem Symbole einer Zeit, die ihre Berechtigung haben.

In der Geschichte der Architektur hat man schon oft „aufgeräumt“ und Gebäude aus der Vergangenheit beseitigt, weil sie dem aktuellen Zeitgeschmack und den Bedürfnissen der Menschen nicht mehr ensprachen. So verschwanden vor allem in den Wiederaufbaujahren ohne Ende Fachwerkhäuser und enge Straßen, um Platz für Neubauten und Autos zu schaffen. So war damals eben die Zeit! Man wollte raus aus der Enge und lichtdurchflutete Häuser schaffen und einen Platz für das Auto vor der eigenen Tür. Und selbstverständlich lebt es sich sicher komfortabler in einem Neubau, statt in einem 500 Jahre alten Fachwerkhaus mit für heutige Maßstäbe zu klein geratenen Einganstüren, tiefen Decken und kleinen Fenstern.

Heute bedauert man vielerorts die „Abrisswut“ vergangener Generationen und wäre froh um den Charme enger Gassen und alter Gemäuer in einer Stadt. Nachfolgenden Generationen mag es ähnlich ergehen! Sie werden auch wieder Gefallen an der Nachkiegsmoderne und ihrem schlichten Schick und Stil empfinden und sich fragen, warum man diese Epoche der Architektur nicht erhalten hat.

Die weiter oben gezeigten Gebäude wie das Mozart-Areal oder die Polizeiinspektion in der Augustinerstraße sind für meine Begriffe gute Beispiele dafür, wie man Bauten aus dieser Zeit behutsam modernisieren und sie trotzdem in ihrem Stil erhalten kann.

Nach der Nachkriegsmoderne kam der Brutalismus

St. Albert in der Lindleinsmühle
Brutalismus in Würzburg

Nach der Nachkriegsmoderne gab es Architekten, die sich ganz bewusst von Funktionalismus und Moderne abwendeten und dem Postmodernismus folgten. In diesem Stil standen nicht mehr die strengen Regeln im Vordergrund, sondern eher eine Vorliebe für dekorative Elemente und Anspielungen auf historische Stile. Stilprägend war aber in den 1950er bis 1980er Jahren auch und vor allem der Brutalismus, dem ich ebenfalls einen ausführlichen Artikel hier auf der Seite gewidment habe.

Der Postmodernismus entwickelte sich etwa zeitgleich wie der Brutalismus, erreichte seinen Höhepunkt aber etwas später. Die Stilrichtungen haben sich also überschnitten. Der Postmodernismus war allerdings eine Reaktion auf die Spätmoderne und den Brutalismus.

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